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Wir Europäer machten und machen nur einen kleinen Teil der Weltbevölkerung aus. Mit Blick auf unsere internationalen Beziehungen fragte ich mich früh, ob es dennoch etwas Spezielles gab, was wir zu einem gedeihlichen Zusammenleben auf der Welt beitragen konnten.
Wir Europäer machten und machen nur einen kleinen Teil der Weltbevölkerung aus. Mit Blick auf unsere internationalen Beziehungen fragte ich mich früh, ob es dennoch etwas Spezielles gab, was wir zu einem gedeihlichen Zusammenleben auf der Welt beitragen konnten.
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Über das, was uns prägte, hatte ich am 17.01.07 im Europ. Parlament in Straßburg in meiner Rede zu Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft unter Bezug auf eine Formulierung des ehemaligen Präsidenten der Europäischen Kommission Jacques Delors gesagt, dass wir Europa eine Seele geben müssten.
Ich zitierte den Prager Schriftsteller Karel Čapek: »›Der Schöpfer Europas machte es klein und teilte es sogar in winzige Stücke auf, so dass sich unsere Herzen nicht an der Größe, sondern an der Vielfalt erfreuen.‹« Auf die Frage, was diese Vielfalt Europas ermöglichte, antwortete ich:
»Die Freiheit ermöglicht unsere Vielfalt. Die Freiheit ist Voraussetzung für unsere Vielfalt, und zwar die Freiheit in all ihren Ausprägungen […] Wir Europäer haben in unserer Geschichte gelernt, aus der Vielfalt das Meiste zu machen.«
Dann schlussfolgerte ich, dass die Eigenschaft, die uns genau dazu befähigte, die Toleranz sei, und sagte: »Europas Seele ist die Toleranz. […] Es gibt einen einfachen Weg zur Seele Europas, zur Toleranz: Man muss auch mit den Augen des anderen sehen.«
Das setzte voraus, von dem anderen etwas zu wissen und ihn verstehen zu wollen.
— Angela Merkel, Freiheit, S. 556